Digitale Gewalt im Fokus: Persönlicher Umgang und rechtliche Hinweise

Migrantische Verbände und Vereine berichten zunehmend von Anfeindungen und Gewalterfahrungen in Netz. Als Teil unseres Dossiers zum Themenkomplex Sicherheit haben wir mit Judith Strieder von der Organisation HateAid gesprochen. In diesem Blogbeitrag erzählt Judith, was einzelne Mitarbeitende tun können, um sich besser auf digitale Gewalt vorzubereiten und im Ernstfall mit ihr umzugehen.

Interview zwischen Norina Pommerening vom VAMOs-Team und Judith Strieder, Betroffenenberaterin bei HateAid.

Judith, letztes Mal haben wir darüber gesprochen, was Verbände tun können, um digitale Gewalt vorzubeugen. Was aber können einzelne Mitarbeitende präventiv tun, um sich zu schützen?  

Auch Mitarbeitende können ihre eigenen Sicherheitsvorkehrungen treffen, um sich besser zu schützen. Dazu gehören:   

  1. Umgang mit sensiblen Daten: Mitarbeitende sollten regelmäßig überprüfen, welche Informationen über sie im Internet verfügbar sind, und bei Bedarf die Löschung unerwünschter Daten beantragen. Dies kann über spezielle Plattformen oder direkt bei Suchmaschinen erfolgen. 
  2. IT-Sicherheit: Sichere Passwörter sind ein Muss. Diese sollten nicht mehrfach verwendet werden. Phishing-Mails erkennen und vermeiden sowie die Nutzung von Zwei-Faktor-Authentifizierung können zusätzlichen Schutz bieten.  
  3. Privatsphäre-Einstellungen in sozialen Netzwerken: Mitarbeitende sollten sicherstellen, dass ihre Privatsphäre-Einstellungen in sozialen Netzwerken streng kontrolliert sind. Nur vertrauenswürdige Kontakte sollten Zugriff auf persönliche Informationen haben.  

 

Und wenn es doch zu einem Angriff kommt, wie gehe ich dann am besten damit um?

Zunächst ist es gut, ein bisschen Abstand zu gewinnen und sich erst mal zurückzuziehen. Es gibt auch ein paar Strategien, wie man als betroffene Person reagieren kann:

  1. Nicht persönlich nehmen: Es kann helfen, sich bewusst zu machen: Der Hass gilt meist nicht der eigenen Person. Oft ist man eine Projektionsfläche. Die Gründe für den Hass liegen immer bei den Tatpersonen, Betroffene sind daran nicht selbst schuld. Diese Erkenntnis kann helfen, die eigene Resilienz zu stärken.
  2. Emotionale Unterstützung: Die Inanspruchnahme von Beratungsangeboten kann helfen, die erlittene Gewalt zu verarbeiten. Beratungsstellen wie HateAid bieten emotionale Unterstützung an, die dabei hilft, die psychischen Folgen zu bewältigen.
  3. Individuellen Krisenplan erstellen: Ähnlich wie beim Krisenplan auf Verbandsebene, ist es auch für individuelle Mitarbeitende ratsam, vorab einen Plan für den Ernstfall zu erstellen. Dieser sollte aber persönlich sein. Man könnte sich beispielsweise überlegen, welche Tätigkeiten einem Kraft geben und wer die Ansprechpersonen sind, die man um sich herumhaben will, wenn es akut wird. Diese Gedanken sollte man schriftlich für sich persönlich festhalten. Das kann simpel erscheinen, es hilft aber ungemein, wenn man sich diese Gedanken vor der Belastungssituation macht.

 

Was können Führungskräfte oder Kolleg:innen tun, um die betroffene Person persönlich zu unterstützen?

Man sollte immer betroffenenzentriert arbeiten. Also fragen, was die betroffene Person braucht und was man ihr vielleicht abnehmen kann. Rechtssichere Screenshots wären zum Beispiel etwas, was man gut übernehmen kann, um die Person zu entlasten. Es ist auch wichtig, zu zeigen, dass man hinter der betroffenen Person steht. Viele betroffene Personen in der Beratung berichten uns, dass sie sich unterstützter fühlen, wenn sie eine direkte, solidarische Nachricht erhalten, als wenn sie eine Person in die öffentliche Diskussion einschaltet, um sie zu verteidigen.  Wenn eine dritte Person versucht, die betroffene Person öffentlich zu verteidigen, kann dies die Situation auch weiter eskalieren. Die betroffene Person sieht dann, wie jemand sich für sie einsetzt, aber dieser Einsatz kann dazu führen, dass die verteidigende Person selbst zur Zielscheibe wird, was die Situation für alle Beteiligten noch schwieriger macht. Im digitalen Raum ist es daher meist hilfreicher, eine positive Nachricht oder einen unterstützenden Kommentar zu hinterlassen, um Solidarität zu zeigen, anstatt direkt in den Konflikt einzugreifen.

Und für den Ernstfall: Wann können Mitarbeitende etwas zur Anzeige bringen?

Zunächst ist es wichtig zu wissen, dass sich Betroffene immer an die Polizei wenden können. Betroffene müssen nicht wissen, ob etwas strafrechtlich relevant ist. Wenn man selbst der Überzeugung ist von einer Straftat betroffen zu sein, kann man sich mit diesem Sachverhalt auch an die Polizei wenden. Auch Beratungsstellen können unterstützen.

Wenn man etwas zur Anzeige bringen möchte, kann man sich im Vorfeld schon überlegen, ob man etwa eine Vertrauensperson mitnehmen möchte, da das Gespräch durchaus belastend sein kann. Bei der Polizei kann man auch einfordern, zum Beispiel mit einer Frau zu sprechen, was in gewissen Fällen angenehmer sein kann. Man sollte sich zudem darüber bewusst sein, dass bei einer Anzeige die Möglichkeit besteht, dass die Gegenseite den Klarnamen oder die eigene Adresse erfährt, zum Beispiel über eine Akteneinsicht. Es gibt allerdings auch die Möglichkeit im Strafverfahren eine c/o Adresse bereits bei Erstattung der Anzeige anzugeben.

Was muss man noch beachten, wenn man etwas zur Anzeige bringen möchte?

Wichtig ist: In vielen Fällen, etwa bei Beleidigung oder Verleumdung, ist ein Strafantrag erforderlich. Dafür haben Betroffene nach Kenntnis von der Tat drei Monate Zeit. Man sollte daher nicht zu lange warten. Wichtig sind außerdem rechtssichere Screenshots. Hier ist es sinnvoll, sich vorher zu informieren, um dann in der Krise gleich richtig zu reagieren: Rechtssichere Screenshots können als Beweismaterial dienen. Ein rechtssicherer Screenshot enthält neben dem eigentlichen Inhalt auch Metadaten wie Datum (Tag, Monat, Jahr), genaue Uhrzeit und die URL der Webseite, auf der der Vorfall stattfand. Zudem muss das volle Datum der Erstellung des Screenshots ersichtlich sein. Diese Informationen sind essenziell, um eine rechtliche Verfolgung der Tat zu ermöglichen. HateAid hat auch hier eine Anleitung erstellt, wie man rechtssichere Screenshots anfertigt.

Und wenn ich mich entscheide, nicht zur Polizei zu gehen. Gibt es da noch andere Möglichkeiten?

Je nach Situation ist es sinnvoll und legitim, die Tatperson zu blockieren, sei es durch das Blockieren ihrer E-Mail-Adresse oder ihres Accounts. Auch das Melden des Kommentars oder Accounts auf der Plattform ist ein wichtiger Schritt. Es gibt auch die Möglichkeit den Vorfall online bei der Polizei zur Anzeige zu bringen. Das ist insbesondere eine gute Option, wenn man nicht persönlich zur Polizei gehen möchte.

Vielen Dank für diese wertvollen Hinweise und Deine Zeit!

 

Seid Ihr betroffen von digitaler Gewalt? HateAid hilft Betroffenen. Das Angebot ist nicht kostenpflichtig.

 

Kurzbiografie zu Judith Strieder:

Judith Strieder ist ausgebildete Psychologin und seit zwei Jahren als Betroffenenberaterin bei HateAid tätig. Judith Strieder unterstützt Betroffene digitaler Gewalt durch präventive und akute Beratung, wobei sie sich auf emotionale Stabilisierung, Sicherheitsberatung und Kommunikationsstrategien spezialisiert. HateAid setzt sich für Menschenrechte im digitalen Raum ein. Die Organisation engagiert sich auf gesellschaftlicher wie politischer Ebene gegen digitale Gewalt und ihre Folgen. Sie erarbeitet konkrete Lösungen zur Stärkung demokratischer Grundwerte im digitalen Raum. Zudem bietet HateAid Prozesskostenfinanzierung in ausgewählten Fällen an und organisiert Vorträge sowie Workshops, um das Bewusstsein für digitale Gewalt in der Öffentlichkeit und bei Strafverfolgungsbehörden zu schärfen.